Prison Architect – The Missing Beta

Aus der äußerst beliebten und immer wieder spannenden Sektion „Mein aktuelles Lieblingsspiel und was ich daran herumzumäkeln habe“: In Prison Architect baut und verwaltet der Spieler im Stil der alten Management-Simulationsspiele von Bullfrog (Theme Park, Theme Hospital, ferner Dungeon Keeper) ein Gefängnis, vom Lagerraum bis zum Todestrakt, vom Koch bis zum Wachhund, vom Dusch-Regime bis zur Verhaltenstherapie, vom harmlosen Raubkopierer bis zum permanent ausrastenden Gang-Anführer.

Prison Architect Screenshot

Mein aktuelles Gefängnis, architektonisch anspruchslos und hochverschuldet, aber seit über einem Tag ohne schwerwiegende Zwischenfälle…

Kantinenszene

…zumindest bis bei diesem Kampf in der Kantine zwischen hungrigen und deshalb gereizten Maximum-Security-Insassen dann doch wieder einer zu Tode kam.

Ich habe das Spiel als Steam-Early-Access-Titel gekauft, also in einer Phase, in der das Spiel noch längst nicht fertiggestellt war. So konnte ich es nicht nur früher spielen, sondern das kleine, englische Indie-Studio Introversion Software auch bei der Entwicklung unterstützen, diese ganz aus der Nähe auch mitverfolgen und sogar beeinflussen. Das machte mir ganz klar mehr Spaß als „einfach nur zu spielen“.
Seit September 2012 läuft diese öffentliche Alphaphase bereits, und seither gab es bis auf eine einzige Ausnahme jeden Monat eine neue Version des Spiels, mit neuen Features und mehr oder weniger feinem Tuning des Gameplays. Sehr viel Liebe zum Detail steckt Designer Chris Delay da ganz offensichtlich rein, wie man auch in den YouTube-Videos sieht, die mit jeder neuen Alphaversion veröffentlicht werden, und in denen er zusammen mit Producer Mark Morris die jeweiligen Neuerungen auf äußerst unterhaltsame Weise präsentiert.

Nun ist nach genau drei Jahren (denen schon rund zwei Jahre nichtöffentliche Entwicklung vorausgingen) die letzte Alphaversion, Alpha 36, erschienen. Von verschiedenen Seiten wurde beklagt, dass das zu lange gedauert hat. Andere vermissen weiterhin jede Menge Features. Aber Introversion hatte angekündigt, dass es lange dauern würde, und dass es keine Roadmap gibt. Und gerade als kleines Studio – im Wesentlichen arbeitet Delay an dem Spiel, unterstützt von ein paar Freelancern – kann man natürlich nicht unbegrenzt schnell an sowas arbeiten, und selbst wenn man das könnte, dürfte es schwer werden, alle Features, die sich jemand in einer solch doch recht komplexen Spielwelt wünscht, vernünftig unterzubringen.

Ich befürchte eher, dass die Entwicklung nun zu schnell abgeschlossen wird. Denn der Alpha- wird keine Beta-Phase folgen – im Oktober wird das Spiel erscheinen. Zwar wurden natürlich auch während der Alpha-Phase ständig und zuletzt auch deutlich vermehrt Bugs gefixt, aber dennoch sind im offiziellen (derzeit nur für Alphatester zugänglichen) Prison-Architect-Bugtracker von insgesamt rund 10.000 seit Oktober 2012 geöffneten Cases immer noch mehr als 5.000 offen. Das sind natürlich längst keine 5.000 Bugs, sind darunter doch auch über 700 Feature-Requests und vor allem jede Menge Duplikate und Karteileichen zu eigentlich längst erledigten Problemen. Für die Pflege des Bugtrackers hatte über all die Jahre offensichtlich keiner bei Introversion Zeit, und das obwohl die Community auf zu schließende Cases stets aktiv aufmerksam machte. Fast 60 offene Bugs etwa sind momentan als„blocking“ eingestuft, rund 20 datieren noch auf die allererste Version Alpha 1 zurück. Schon hier möchte ich ein kleines „Schade“ einwerfen, denn so sieht es so aus, als dürfe man zwar Fehler melden, um die zu kümmern scheint sich aber keiner auch nur in soweit als dass er sagen würde „gibt’s schon“.

Aber es wird nichtmal nur keine Zeit eingeplant, diese bestehenden Bugs zu fixen und die kürzlich integrierten Game-Changer wie Room Quality (Alpha 33), Gangs (Alpha 34), Löhne für Gefangene samt Shop (Alpha 34) und Schmuggelware-Handel (Alpha 35) sowie Zufalls-Events (Alpha 36) richtig auszutarieren, es wurden sogar noch Features zurückgehalten, die erst mit der Version 1.0 das Licht der Welt erblicken sollen. Was das genau ist, wird erst Ende September verraten, aber man darf davon ausgehen, dass das zum einen verschiedene Gefängnisdirektoren mit verschiedenen Charakeristiken sein werden (solche durften nämlich fünf frühe Backer mitgestalten, die dafür immerhin jeweils 1.000 Dollar gezahlt haben), und zum anderen Kampagnen. Seit Alpha 1 enthält Prison Architect neben dem freien Spiel einzig eine Tutorial-Kampagne, und selbst für die wurden bis zuletzt immer wieder Bugs reportet. Nun sollen wohl eine ganze Sammlung von Kampagnen freigeschaltet werden, die von der Million freiwilligen Testern keiner gesehen hat, bevor sie auch den für ein fertiges Produkt zahlenden Kunden vorgesetzt werden. Zumal auch viele weitere Dinge der Community überlassen werden, etwa die Übersetzung des Spiels und das Schreiben der Dokumentation. Dinge also, die nun erst nach dem Release feature-complete sein können werden.

Sicher, spielen kann man Prison Architect schon lange. Als ich mit Alpha 27 eingestiegen bin, ging das im Großen und Ganzen schon prächtig, und inzwischen sind nochmal zehn Versionen ins Land gezogen. Von den fiesesten Bugs, die es damals noch gab, sind heute die meisten geschlossen, von den fehlenden Features die wichtigsten seither geliefert, von den spielentscheidenden Parametern einige noch deutlich nachgebessert worden. Das Spiel läuft bei praktisch allen Testern, egal ob Windows, OS X, Linux oder neuerdings auch iOS- und Android-Tablets. Vieles was sich die Spieler noch wünschen, ließe sich dank Modding-System von engagierten Community-Mitgliedern selbst nachliefern, selbst manche Bugs auf diese Weise fixen.
Und nicht zuletzt kann es mir ja ganz egal sein, ob sich die nächste Version 1.0, Alpha 37 oder Beta 1 nennt, zumal die Introversion-Leute versprochen haben, auch zukünftig weiter an dem Spiel zu arbeiten. Aber dennoch: Es ist davon auszugehen, dass sich von den Käufern des fertigen Spiels wie von den Reviewern der Magazine einige über ein immer noch mächtig verbuggtes Spiel wundern werden, über fehlende Übersetzungen, über bereits verfügbare, aber noch nicht mit der aktuellen Version kompatible Mods, über kleine Unstimmigkeiten oder Dead-Ends in den Kampagnen, über tausend Kleinigkeiten eben, die man in so einer Beta-Phase zu einem guten Teil sicher noch hätte ausräumen können. Und ich und viele andere Tester hätte Introversion gerne geholfen, in einem halben Jahr ein wirklich rundes Spiel auf den Markt zu bringen, statt nun eines, das wie in alten Deadline-Zeiten zu einem bestimmten Zeitpunkt erscheint, völlig egal ob da noch genug Zeit zum Fixen, Schrauben und Testen war.

Wenn sich die Leute nun wundern, warum Gefangene in Sammelzellen gestopft werden obwohl es freie Zellen hat (die nur zu hoch bewertet sind, weil sie zu groß sind), warum Gangmitglieder den Todestrakt verstopfen (weil sie sich weigern, ihre eigenen Berufungsverhandlungen zu besuchen), sie binnen zwei Stunden nach einem bestimmten Ereignis Game Over gehen, obwohl der Gefängnisdirektor ihnen doch fünf Stunden zum Ausräumen des Misstandes gegeben hat, warum Gebäude gebaut werden, während sie nur in einem Report herumgeklickt haben, Überwachungskameras zwar durch Wände sehen können (wenn man es denn überhaupt schafft, sie richtigrum zu platzieren), aber ansonsten funktionslos sind (weil sich die Wärter nicht dafür interessieren, welche Missetaten die Kameras beobachten), große Gefängnisse trotz minimalistischer 2D-Grafik selbst auf aktuellen Gaming-PCs unspielbar werden, Gefangene auch am Ende ihrer 20-Jahres-Strafe immer noch diesselben Jungspunde sind die sie bei ihrer Einweisung waren, Leute in Wänden stecken bleiben, Texte nicht lesbar sind, der kalte Entzug bei Süchtigen einfach nicht stattfindet, Ärzte sich nicht um Verwundete kümmern und Leichenwagen (die immer noch wie Krankenwagen aussehen) die Toten auf der Straße liegen lassen, und man zwar ohne jeden Nutzen mehrere Buchhalterinnen einstellen kann, nicht aber mehrere Vorarbeiter (die man für die Sicherheitsunterweisungen dringend brauchen könnte), oder eben an Ungereimtheiten in Kampagnen oder Unausgewogenheiten bei den neueren Features: Am Mangel an willigen Testern lag es nicht. Am Zeitdruck oder dem Geld auch nicht. Daran, dass die Introversion-Leute endlich ein neues Projekt starten wollen auch nicht. Ich habe keine Ahnung, woran es lag.

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Gefangener Pipping wartet noch auf eine Uniform

Das gesagt: Ich freue mich auf die Kampagnen und würde das Spiel trotz allem jedem empfehlen.